Vor der Partie gegen das Computerprogramm AlphaGo zeigte sich der südkoreanische Großmeister Lee Sedol 2016 siegessicher: Er werde “haushoch” gewinnen, sagte der Profispieler des asiatischen Brettspiels Go. Doch es sollte anders kommen: Die von Google Deepmind entwickelte künstliche Intelligenz besiegte ihn. Wenig später trat der beste chinesische Spieler Ke Jie gegen den speziell für das asiatische Brettspiel entwickelten Algorithmus an. Und verlor ebenfalls.
In China beobachtete man dieses Spektakel mit großem Interesse. In letzter Sekunde verhinderten die chinesischen Behörden sogar eine Liveübertragung der Partie. Der Sieg der Maschine in diesem kulturell wichtigen asiatischen Spiel wurde für die chinesische Führung im Sommer 2016 – so berichteten es zwei anwesende Professoren gegenüber der New York Times – zu so etwas wie dem “Sputnik-Moment”: In diesem Augenblick wurde klar, dass nichts mehr so sein würde wie vorher und dass nun alle Anstrengungen darauf ausgerichtet werden müssten, künstliche Intelligenz zu besitzen und zu nutzen.
China hatte natürlich auch schon vorher Maßnahmen und Strategien für diese neue Technologie entwickelt. Doch erst 2017 verkündete das Land offiziell, bis 2030 die Vorherrschaft im Bereich der künstlichen Intelligenz erringen zu wollen. Auch wenn oft übersehen wird, dass China noch weit hinter den USA liegt – im März 2018 gab es 39.000 chinesische KI-Spezialisten im Vergleich zu 78.000 in den USA –, so hat dieser Plan doch eine schaurige Faszination. Sie rührt von den möglichen beängstigenden Folgen, wie einer möglichen umfassenden Steuerung des Individuums, und von der vermeintlichen Geschlossenheit der Regierung hinter diesem Plan. Jenseits demokratischer Wahlzyklen macht sich nun eine nicht westliche, staatskapitalistische Supermacht auf, die Digitalisierung zu nutzen und damit auch ihre Position im internationalen System zu sichern. Stellt sich die Frage: Kann Deutschland da noch mithalten?
Isolierte Anstrengungen
Zumindest ist spätestens seit dem chinesischen Sputnik-Moment hierzulande mehr Bewegung in die Debatte um Digitalisierung und künstliche Intelligenz gekommen. Allerdings steht der Diskurs immer noch am Anfang. Digitalisierung werde in der Bundesrepublik noch zu oft als eine notwendige Anpassung an vorgegebene disruptive Technologien verstanden, schreibt die Otto-Brenner-Stiftung in einer Medienanalyse, und weniger als Gestaltung – schon gar nicht als ein Resultat von Entscheidungen, “die auch hätten anders getroffen werden können”. Man ignoriert damit die Möglichkeit, die Eigenheiten und Bedingungen des deutschen Modells – eine hohe Exportorientierung, noch dazu auf sehr traditionelle Waren wie Konsum- und Investitionsgüter und weniger auf immaterielle Güter wie etwa IT, und Lohnzurückhaltung – zu überwinden. Die bisherigen digitalen Anstrengungen sind zwar nicht falsch, in ihrer Isoliertheit haben sie sich aber nicht zu einer wirksamen Strategie oder gar gesellschaftlichen Vision über die Zukunft entwickelt.
Die jüngst auf dem Nürnberger Digitalgipfel präsentierten Strategien zur Digitalisierung und zu künstlicher Intelligenz machen dies deutlich: Sie sind Kataloge unterschiedlicher Einzelmaßnahmen, die zumeist Absichtserklärungen sind. Schlimmer noch: Der Plan zur Digitalisierung der Schule – wir reden hierzulande eigentlich noch immer nur über die Infrastruktur wie WLAN und nicht über notwendige neue Lernmethoden wie etwa den Flipped Classroom, den umgedrehten Unterricht, in denen die Schülerinnen und Schüler Inhalte digital zu Hause vorbereiten und in der Schule anwenden – wurde durch alle Bundesländer abgelehnt. Dabei ist digitale Bildung die Grundlage für die wirtschaftliche Zukunft der Bundesrepublik.
Erkennbar wird zudem, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen: Die Förderung von Forschung und Start-ups, wie sie in den Strategien der Bundesregierung vorgesehen ist, werden in einer globalen Plattformökonomie nicht nachhaltig sein, wenn deutsche und europäische Unternehmen nicht auch Plattformen hervorbringen. Solche Portale sind Intermediäre, die sich zwischen Hersteller und Nutzer schieben und Leistungen vermitteln: Der Fahrdienst Uber bietet Taxifahrten an, über die Plattform TopCoder können Unternehmen projektbezogen Arbeitskräfte buchen und über die Shoppingseiten von Amazon oder Alibaba können Nutzerinnen und Nutzer Produkte kaufen.
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